Hoppla.
Als unsere letzte Etappe in Tso Kar endete, zeigt die Uhr 16:15 Ortszeit an.
Cirka 16:30 wollte ich mich für 5min hinlegen.
15 Stunden(!) später bin ich wieder erwacht.
Tso Kar ist eine Ansammlung von kleinen einfachen Gasthäusern in der Nähe eines Salzsees auf 4.500m Höhe.
Die körperlichen Auswirkungen der Höhe (Kopfschmerz, Konzentrationsschwierigkeiten) haben mich während des ganzen Tages begleitet.
Wir sind auf dieser Etappe dauerhaft auf über 4000m Höhe geblieben, hatten den ganzen Tag über 30 Grad Celsius und haben am Ende eine Wüste durchquert.
Nach meinem Gefühl ist durch die intensive Sonnenstrahlung während des Tages zu den oben genannten Symptomen noch ein weiteres hinzu gekommen: Ein Hitzschlag.
Denn am Zielort angekommen fühlte ich mich angeschlagen und fröstele ein wenig, so daß ich beschließe, mich sofort für ein paar Minuten unter die Decke zu legen.
Trotz 30 Grad Hitze nutze ich 2 Decken.
Um 8:00 Uhr am Morgen des kommenden Tages werden meine Kameraden mich erst wiedersehen. Immerhin wieder aufrecht stehend.
15 Stunden habe ich zuletzt in Studentenzeiten geschlafen! Zugegebenermaßen 3x die Woche. Seit langer. langer Zeit ist das aber nicht mehr vorgekommen.
Der Himalaya zeigt mir und den anderen deutlich, dass die Akklimatisationsphase noch nicht abgeschlossen ist. Mit meinem kleinen Marathonschlaf habe ich dem Körper aber das gegeben, was er anscheinend benötigte. Denn Kopfschmerz, Konzentrationprobleme und Schüttelfrost gehören nach dieser Hauruck-„Therapie“ der Vergangenheit an.
In dieser Nacht ist mir an einem kleinen Detail wieder einmal eine zentrale Erfahrung eines solchen Extremtrips vermittelt worden:
Cirka gegen Mitternacht bin ich kurz erwacht, um einen dringenden körperlichen Bedürfniss nachgehen zu können. Leichter gesagt als getan, wenn man
a. die Räumlichkeiten nicht kennt und
b. dank eines erneuten Stromausfalls das Zimmer in völliger Dunkelheit liegt.
Ein Königreich also für ein bißchen Licht!
Technik-Thomas, der Mann, der das gastliche Zimmer mit mir teilt, ist ein pfiffiges und praktisch denkendes Kerlchen. Er hat bei der Vorbereitung der Tour daran gedacht, eine vernünftige Taschenlampe zu kaufen und hat diese sogar mit genommen. Ich traue ihm sogar zu, dass er daran gedacht haben könnte, diese für den Notfall -der mir ja nun gerade widerfährt- diese kleine, vermeintlich selbstverständliche Taschenlampe an einer sinnvollen Stelle im Zimmer zu platzieren.
Ich taste also in absoluter Dunkelheit den Raum zwischen unseren Betten ab, habe zunächst die obligatorische Wasserflasche in der Hand, finde dann aber direkt daneben das in dieser Nacht extrem wichtige Lichtlein. Erleichterung in jeder Hinsicht.
Ein kleines Erlebniss nur, aber es steht stellvertretend für eine Erfahrung, die zu den zentralen dieses Trips gehört: In der eigentlich lebensfeindlichen Welt des Himalaya lernt man die, in unserem Kulturkreis selbstverständlichen gewordenen „kleinen“ Dinge des Lebens wieder zu schätzen: Licht, wenn man Licht möchte. Wasser, wenn man Wasser möchte. Essen, wenn man Essen möchte. Sicherlich gibt es auch in dieser Region der Welt diese Basisdinge des Lebens.
Sie sind aber niemals selbstverständlich und nahezu immer mit Mühe verbunden. Das gesamte Leben in dieser unwirklichen Region ist mit Mühe verbunden. Das Leben ist mühsam, schlicht und reduziert.
Heute werden wir auf unserem Tagestripp wieder kleine Eindrücke erhalten in den Alltag der Bewohner der Region. Es sind erschreckende und beeindruckende Begegnungen.
Wir treffen Kinder, die notgedrungen am Rande der Strasse leben, auf der ihr Vater als Arbeiter seinen Tageslohn (€ 1,50) verdient. Sie nehmen uns mit zu ihrer Behausung und wir müssen mit Schrecken feststellen, dass neben den 4 etwas größeren Kindern noch ein ca. 6monatiges Kind in einem, notdürftig mit Wellblachplatten abgedeckten Erdloch leben.
Und wir treffen Kinder, die in der TCV Branch School Sumdho eine tibetanische Ausbildung inklusive Englschkenntnisse erhalten. Ihre engagierte Lehrerinnen geben uns eine beeindruckende Führung durch ihr Institut.
In Karzok, dem Ort unseres nächsten Zeltlagers in 4.600m Höhe, haben wir eine weitere beeidruckende Begeggnung: Wir sind Beobachter einer Puja, einer buddhistischen Andacht.
Die Begegnungen mit den Menschen, ihre Gastfreundschaft, ihre Demut, Fröhlichkeit, Bescheidenheit und Spiritualität lassen uns eine weitere Erfahrung machen, die aus diesem Trip bei vielen Teilnehmern wird haften bleiben:
Es bedarf anscheinend viel weniger, als man in unserer Überflußgesellschaft zu glauben meint.
Reisen bildet ja bekanntermaßen.
Wir lernen auf etwas unserem Trip. Das wird in den abschließenden Interviews mit den Teilnehmern bei nahezu allen sehr deutlich.
Wir lernen bei der Begegnung mit den Menschen von Ladakh: die vermeintlich selbstverständlichen Dinge des Lebens wieder zu schätzen, mit Weniger zufrieden zu sein und dem Leben häufiger mit größerer Demut und Bescheidenheit zu begegnen.
Mehr ist von einem Tag und einer Reise nicht zu erwarten.
* leicht abgewandelt aus: „Urians Reise um die Welt“ von Matthias Cladius.