Kennt ihr das noch aus den Winnetou Filmen?
Wenn ich mich nicht täusche haben die damals die Filme im Cinemascope gedreht. Das ist ein Verfahren bei denen man die 35mm Filme erstmals im BREITBAND zeigen konnte.
Ich war 6, 8 oder wasweißich als ich zum ersten Mal Winnetou gesehen habe. Es war im Kino oder vielleicht auch nur zu Hause. Auf jeden Fall sehe ich mich vor dem geistigen Auge noch heute mit weit offenem Mund vor der Glotze. Ich war geflasht! Und das sogar obwohl es das Wort damals noch gar nicht gab.
Einerseits natürlich weil der böse Schurke Rattler mir-nichts-dir-nichts den guten Klekih-petra (den Vater von Winnetou, der sich schützend vor seinen Sohn Pierre Brice stellte) erschossen hat, aber noch viel mehr, weil die (übrigens jugoslawische) Landschaft im Cinemascope Look einfach UNFASSBAR geil aussah. Ich werde diese Bilder nie vergessen.
So ungefähr ist es von Leh nach Kargil zu fahren.
Wie ein Winnetou Film im Alter von 6. Nur ohne Musik. FANTASTISCH!
Die Traumstrasse führt entlang des Indus in immer faszinierenden Welten, wie es unser Doc Peter so schön beschrieben hat (Peters Blog über die gesamte Tour: Blog Peter Markreiter)
Nach einem Ruhetag in Leh haben wir die gastliche Stadt früh morgens verlassen. Das Grün wird jetzt zur Seltenheit zwischen dem Grau, Gelb, Ocker, Beige und Braun der Hochgebirgswüste. Diese bizarre und karge Gegend ist beeindruckend, sie wirkt wie eine unwirkliche Mondlandschaft und hat daher auch konsequenterweise den Namen MOONLAND. Bar jeder Vegetation ragen zerklüftete Bergspitzen steil in den Himmel. Aus weißem Lehm, den Überresten eines hier vertrockneten Sees, sind im Laufe der Jahrhunderte die bizarren Felsformationen entstanden. Die Höhe und und die Bergbeschaffenheit sorgen für unglaubliche, große, wandernde Wolkenschatten, deren Eindringlichkeit mit der Kamera nur schwerlich einzufangen ist.
Wie dem Bild aber zu entnehmen ist, ist die Streckenführung wie gemalt. 234 km sind es von Leh nach Kargil. Ein 10 Stunden Spaß, wie wenn man alle Winnetou Filme auf Kabel 1 an einem verregneten November Sonntag anschaut.
Unser Ziel Kargil liegt direkt an der pakistanischen Grenze und ist erst 1998 von den moslemischen Pakistanis im Kaschmirkrieg zerbombt worden.
Deshalb auch der zwischenzeitliche Hinweis des deutschen Auswärtigen Amtes, diese Gegend Kaschmirs und Zanskars besser nicht zu befahren.
Ein Vorteil der militärischen Bedeutung dieser Strecke: Sie ist PERFEKT ausgebaut. Feinster Asphalt schlängelt sich durch das MOONLAND. Das Fahren ist eine wirkliche Freude. Es herrschen 30 Grad und die vorbeiziehenden Bilder brennen sich für alle Zeiten auf die Festplatte des Gehirns. Direkt neben Winnetou I.
Für 234km haben wir wieder 9 Stunden benötigt. Es hätte aber gerne doppelt so weit sein können.
Mitten in dieser fast surreal schönen Welt zeigt sich dann auf einmal wieder die Skurrilität des indischen Lebens, die zur Faszination dieser Reise einen wichtigen Beitrag leistet. Hinter jeder Biegung erwarte ich das Unerwartete: Ich biege um die gefühlt 1531 fantastische Kuve des heutigen Tages, als ich an 2 Männern vorbei komme, die die Straße fegen.
Mein Gehirn braucht ca. 10sek um das Gesehene zu realisieren. Wir sind Hunderte von Kilometern durch Indien gefahren, haben den Schmutz und Gestank Dehlis erlebt, hatten auch in guten Restaurants immer ein wenig Mühe, eine sanitäre Anlage zu finden, deren Hygiene wenigstens 1/10 der Sauberkeit eines deutschen Männer-Studenten WCs erreicht und hier im Niemandsland, auf dem Mond, in der Menschenleere von über 5000m Höhe, nur umgeben von Sand, Stein und Geröll FEGEN 2 Männer DIE STRAßE??? Ich drehe um und frage die beiden gut gelaunten Alten, was denn hier wohl ihr Auftrag wäre. Erstaunt über meine naive Frage antworten sie mir, dass dies doch ihr Job wäre.
Mir liegt die Frage auf der Zunge, was das denn für ein Sinn habe, wenn man bedenken würde, dass schon 2m hinter ihnen der Wüstensand wieder gezeigt hat, wo der Sand-Hase hier lang läuft. Ihr erstauntes Gesicht angesichts meiner ersten Frage nach ihrem eigentlichen Auftrag macht mir aber deutlich, dass sie sich über die Frage nach der Sinnhaftigkeit ihres Tuns noch nie Gedanken gemacht haben und ich sie deshalb auch gar nicht erst zu stellen brauche. Unter meinem Helm lächelnd muss ich mir eingestehen, dass die Frage ja auch eine gewisse deutsche Kleinkariertheit inne hat, wenn man in dieser schönen Umgebung an so einem schönen sonnigen Tag, einen so geruhsamen Job wie den dieser glücklich aussehenden Wüstenstrassen-Strassenfeger hat. Sisyphos muss man sich bekanntermaßen ja als glücklichen Mann vorstellen*. Die Jungs haben noch 150 Fegekilometer bis Leh. Es gibt also viel zu tun und ich will sie nicht aufhalten.
Ich habe noch 90km bis Kargil. Da wird aus dem Cinemascope Film ein schwarzweißer.
Bis dahin nahm der Tag seinen üblichen, faszinierenden Verlauf: Wir mußten kleine Probleme lösen, haben faszinierende Kultur gesehen und skurrile Szenen erlebt. Konkret und beispielhaft:
Kleines Problem: Christoph, unser Youngster, hat unsere Abfahrt zum Lamayuru verpaßt, einem der imposantesten Klöster des Industals. Wie ein Adlerhorst drohnt es über dieser imposanten und doch so abstrusen Landschaft. Christoph ist versehentlich geradeaus gefahren und wurde erst nach einer wilden Verfolgungsfahrt kurz vor Kargil von unserem indischen Guide wieder eingefangen.
Faszinierende Kultur: Zur Mittagszeit haben wir jenes Kloster Lamayuru besucht, dort gut zu Mittag gegessen und neben der fantastischen Aussicht in das Tal die wertvolle Statuen und Wandmalereien bewundert.
Skurrile Szenen: Hotelsuche in Kargil. Einer der wenigen Autofahrer, die in Kargil unterwegs sind, gab uns zu verstehen, dass er ein Hotel mit dem von uns genannten Namen kennen würde. Ein kurzes Handzeichen von ihm und wir bogen zunächst in die „Fußgängerzone“ und dann mit 10 Enfields direkt in Richtung einer Hotelrezeption ab. Unser Stefan („Flying Dutchman“), ein Holländer, schaffte es dank des spiegelglatten, nagelneu verlegten Marmors im Hotel Eingangsbereich aus der Hotelrezeption ein „Bike In“ zu machen. Erst mitten in den bereits aufgestellten Blumenkübeln brachte er seine Enfield im Eingangsbereich zum Stehen bzw. Liegen.
Die Holländer mögen bekanntlich Blumen.
So standen wir also mit 10 Enfields auf dem jungfräulichen Marmor und in den Blumenkübeln und warteten auf unseren Guide „Papa Moti“. Mit dem kindlichen Stolz erfüllt, dass versteckt gelegene Hotel auch ohne seine Hilfe gefunden zu haben. Das Personal schaute uns ebenso verdutzt an, wie wir sie. Als Moti kam stellte sich heraus, dass der Marmorbereich vom Architekten eigentlich nicht als Parkplatz gedacht war. Nicht weiter schlimm, denn es war auch nicht unser Hotel.
Mit ein paar satten Reifenabdrücken auf dem feinen Grund ließen wir das, angesichts der Zerstörungen, sehr entspannte Personal winkend zurück, wünschten noch viel Glück zur bevor stehenden Eröffnung und bogen um die Ecke zu dem von uns tatsächlich gebuchten Hotel.
10x Bikes-DriveIn-in-der-Eingangshalle-am-Eröffnungstag. Kein Problem in Indien.
Ein größeres Problem ist es dann schon im moslimisch geprägten Kargil das obligatorische Kingfisher Bier auf zu treiben. Erst nach intensiver Nachfrage hatten wir 7 spärliche Flaschen für 22 Personen in Alufolie verpackt auf dem Tisch. Natürlich zu europäischen Preisen. Verbotenes hat aber ja bekanntlich seinen Reiz.
Den überschaubaren dunklen Reiz von Kargil schildern wir aufgrund der Fülle von Bildern dann beim nächsten Mal.
Dieser Text hier ist ja schließlich jetzt schon ganz schön lang. 😉
* siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Mythos_des_Sisyphos
„Darin besteht die verborgene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache. […] Der absurde Mensch sagt ja, und seine Anstrengung hört nicht mehr auf. Wenn es ein persönliches Geschick gibt, dann gibt es kein übergeordnetes Schicksal oder zumindest nur eines, das er unheilvoll und verachtenswert findet. Darüber hinaus weiß er sich als Herr seiner Tage. (…) Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“
Albert Camus – Der Mythos des Sisyphos: 6. Aufl., Reinbek, 2004. S. 159f.