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Tag 9: Lebenslust am Leichenberg

Das Motorengeräusch lässt mich erwachen. Genauer gesagt: Die zahlreichen Motorgeräusche.

Unser indisches Begleit-Team ist diszipliniert. Mit Beginn des Morgengrauens macht es sich an die Wartung der Maschinen. Bis zum späten Abend haben sie sich gestern um Fahrwerk, Reifen und abvibrierte Teile gekümmert, morgens sind die Motoren dran.

Ein indischer Royal Enfield Motor scheint nur die Zustimmung seiner Mechaniker zu finden, wenn er zwei Stunden vor seinem Einsatz seine Zuverlässigkeit beweist, indem man ihn 5min auf circa 70% seiner Maximaldrehzahl laufen lässt. Im Innenhof werden gerade 27 Maschinen auf diese Art überprüft. Ein morgendliches Mechaniker Ritual, wie bei uns das Zähne putzen.
Es gibt sanftere Methoden geweckt zu werden, aber wir haben uns mittlerweile daran gewöhnt und schließlich sind die rituellen Wartungsarbeiten auch in unserem ureigenen Sinne.

Ich frage mich nur, wie dieser rustikale morgendliche Lärm denn so bei mit uns übernachtenden Backpackern und Bergwanderern ankommen? Schließlich haben sie sich bewusst der Zivilisation entzogen, um die Stille der Bergwelt zu genießen. Statt klarer Bergluft und kontemplativer Stille erhalten sie zum Wachwerden erst mal einen Stoß Royal Enfield Benzin und eine Dauerbeschallung.
Keine genaue Ahnung warum, aber wahrscheinlich aufgrund der Schallwirkung des Innenhofs muss an den Film „Apocalyse Now“ denken.

Nicht wirklich vergleichbar und auch politisch auch eher unkorrekt, aber irgendwie ist es mir halt eingefallen.

Unsere Betten waren auch endlich mal bequemer, als ein Feldbett der GIs. Das Hotel in KEYLONG ist von erstaunlichem Komfort. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass wir sehr kurzfristig gebucht haben. Denn eigentlich sollten wir jetzt in Srinagar an der pakistanischen Grenze sein und dort in einem malerisch am See gelegenen Hausboot übernachten. Unruhen in der Kashmir Region haben uns zur Improvisation und zu einer völlig neuen Routenplanung gezwungen. Unser Ziel ist nun Manali, der Ausgangsort für den berühmten Manali-Leh Highway. Nur von dort haben wir noch eine realistische Möglichkeit, rechtzeitig nach Dehli zurück zu kehren, um unsere Flüge nach Deutschland zu erreichen.

Zwischen uns und Manali liegt allerdings noch der RohtangLa Pass. Die berechtigte deutsche Übersetzung lautet: Der Leichenpass.

Unsere Reise nähert sich also langsam dem Ende. Und tatsächlich scheint man zu spüren, dass sich eine leichte Melancholie über unsere Truppe legt. In Keylong haben wir erstmals funktionierendes WLAN und somit Kontakt in die Heimat und natürlich wandern Die Gedanken dorthin. Es ist eine ambivalente Stimmung. Natürlich freut man sich auf zu Hause. Auf die Angehörigen, den westlichen Standard, ein sauberes Bad, fließendes Wasser und was sonst noch so zu unserem komfortablen Leben gehört.

Aber, auch das ist heute schon zu spüren: Wir werden die Ursprünglichkeit, das Raue, die Herausforderung, die Berge, die Royal Enfields und auch unsere ganze verschworene Truppe jeder für sich vermissen. Es sind Freundschaften entstanden und, das ist uns allen klar, das Abenteuer Himalaya hat einen speziellen Reiz, der mit dem Alltag nicht vergleichbar ist.

Zunächst einmal geht es aber noch 115km nach Manali. 115km ist in Europa entspannt in einer Stunde zu bewältigen. Wenn es über den Leichenberg geht, dann muss man eher 7-8 Stunden einplanen. Denn der Pass trägt seinen Namen in manchen Passagen völlig zurecht.

Wir folgen zunächst dem Chanab Fluss und müssen dann hinter Khoksar rechts ab auf den Rohtang. Der Pass ist annähernd 4000m hoch und nur in den Sommermonaten geöffnet. Er bildet zugleich eine Wetter- und Kulturscheide, denn er verbindet die eher feuchten monsunbestrichenen, hinduistische geprägten Regionen des Hügel und Mittellandes, in das wir gerade fahren, mit der buddhistisch geprägten Hochregion, aus der wir gerade kommen. In der Regel wird der Pass im Juni erst eröffnet und es benötigt bis zu vier Wochen Arbeit bis er von seinen Schneemassen befreit ist und in einen halbwegs passablen Zustand gebracht werden kann. „Halbwegs passabel“ heißt auf Deutschland übertragen: Allerunterstes Feldweg Niveau, mit eingearbeiteten Felgentötern.

In Khoksar ist unsere Herrentruppe noch brav vereint, zumal wir am Fuße des Rohtang noch die beinahe schon übliche Straßenräumung via Bagger abwarten müssen. Über den Leichenberg wird unser 27köpfiges Team dann extrem auseinander gezogen. Diverse Pannen und Materialschäden tun ihr übriges. Verlorene Ketten, Fußrasten, ein entzahntes Ritzel, kleinere Stürze, schleichende Lkws und langatmige Schlammpassagen reißen unser Fahrerfeld weit auseinander.

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Auf dem Rohtang dann wird uns einmal mehr die Absurdität und Faszination des indischen Lebens vor Augen. Kurz vor der Passhöhe begegnet unserer Teiltruppe ein quitschgelber LKW mit KOMPLETT zerstörtem Dach und fehlender Frontscheibe. Der Fahrer ist in wirklich allerbester Laune und berichtet mir fröhlich, dass er gerade aus Leh kommen würde und auf dem Weg nach Manali sei. Immerhin 477 km ohne Frontscheibe und mit vibrierenden Dach. Meine Frage, was denn mit seinem Truck passiert sei, ignoriert er geflissentlich. Natürlich kann es daran liegen, dass er mein Englisch nicht versteht. Für mich macht es aber eher den Eindruck, dass er den kompletten Sinn meiner Frage nicht verstehen würde. Ein abgerissenes Dach und eine fehlende Frontscheibe bedeutet in Indien noch längst nicht, dass man man nicht mehr fahr fähig wäre. Seine blendende Laune steht in einem faszinierenden Kontrast zum erbarmungswürdigen Zustand seines Lkws.

Wenige Kilometer weiter stehe ich in einer kilometerweiten Schlammpassage. Angesichts des nahenden Endes unserer Reise lasse ich die Abenteuer der letzten Tage ein wenig Revue passiere. Gerade als ich mich angesichts der Höhe, des Zustands des Passes und der Besonderheit einer Himalayatour in eine kleine Heldenrolle reindenken möchte, begegnen mir zwei Jungs auf einem Roller. Der Fahrer in Flipflops. Noch dazu rosafarben (siehe Video unten).

 

Sein Beifahrer erläutert mir auf meine Nachfrage, dass die Überquerung des Rohtang Passes in den Sommermonaten quasi zu ihrem täglichen Arbeitsweg gehören würde und so erhalte ich doch mal wieder Lektionen in indischer Gelassenheit und Langmut: Eine fehlende Frontscheibe? Den Leichenberge mit Flipflops? Wo ist das Problem? Das Leben ist ein ruhiger Fluss und wenn es regnet, nützt es nichts sich aufzuregen, denn dann regnet es trotzdem, sagte mir unser Guide Mr. Moti vor einigen Tagen. Gleiches scheint auch für defekte Frontscheiben und fehlendes Schuhwerk zu gelten. Ebenso für stundenlange Straßenarbeiten, desaströse Straßenzustände, fehlendes fließendes Wasser und Strom.

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Auf der Passhöhe des Rohtang erleben wir ein weiteres kleines Beispiel von ansteckender Lebensfreude. Immerhin europäischer Natur. Ein älter italienischer Herr entdeckt unsere Motorräder und bittet sich einmal drauf setzen zu dürfen, denn in jungen Jahren wäre er auch Motorradfahrer gewesen. Man kann es seinem Lächeln entnehmen. Das Gefühl geht anscheinend nie verloren.

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Auf der südlichen Seite des Rohtang machen wir eine letzte Rast mit Blick ins Kullu Tal.

Langsam tröpfeln die Teilnehmer ein und bei warmen Tee und Schokolade wird uns deutlich, dass der abenteuerliche Teil der DANE TROPHY TRANSHIMALAYA hinter uns liegt. Der Dreck an den Klamotten, den Maschinen und das Grau in unseren Gesichtern ist ein Zeugnis der Anstrengungen der vergangenen Tage.

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Es dauert fast zwei Stunden bis der Letzte den Rohtang bezwungen hat. Dann geht es auf ordentlichen Straßen runter  nach Manali. Manali ist die mit weiten Abstand westlichste Stadt auf unserer Route. Eine Stadt mit 8100 Einwohnern, die sich mit dem Bergsteiger und Climberboom zu einem internationalen Touristenzentrum entwickelt hat.

Am Abend gehen Doc Peter und ich mit unseren Guides Buddhi und Mr. Moti Essen. Die Bar, die Gerichte, die Getränke und die Preise haben nahezu europäischen Standard. Old Manali ist voll von jugendlichen Backpackern. Bei angenehmen 23 Grad lassen wir uns durch die Kneipen treiben.

Die Zivilisation hat uns wieder.

Inklusive unseres jedes Jahr verlässlich auftauchenden Schuhputzers, der an diesem Tage seinen Umsatzrekord erreichen dürfte und noch zufrieden lächelnd vor dem Hotel sitzt, als wir nachts bei unserer späten Rückkehr über den Zaun klettern müssen. Heute geht es anscheinend allen gut.

Der Tag in 4min.