Mich laust der Affe.
Da schiebt man die Vorhänge des unerwartet luxuriösen Hotelzimmers beiseite, um die Wetterlage zu checken, da hat es sich ein bananenloser Freund auf unserer Terrasse bequem gemacht. Udo und ich sind begeistert. Das ist doch mal was anderes, als die heimische Hauskatze. Wir trommeln an die Scheibe, aber Cheetah (Kennt noch jemand Daktari?) lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Die Scheibe vibriert, aber der unhöfliche Kerl würdigt uns keines Blickes.
Stimmt ja, wir sind in Indien: Keinen Stress am frühen Morgen, Nachmittag, Abend oder Nacht.
Gilt anscheinend auch für Affen.
Gestern ist es etwas spät geworden, denn immerhin ist es ein Jahr her, dass ich meine indischen Freunde „Mr. Moti“ und Buddhi nicht mehr gesehen habe.
Zur nächtlicher Stunde trommelte dann noch ein akkurater Landregen auf die Überdachung der Terrasse. Der morgendliche Wettercheck zeigt, dass uns heute auf dem ersten Fahrtag ähnliches erwarten könnte. Trotzdem sind 25 der 27 Teilnehmer der DANE TROPHY TRANSHIMALYA schon früh auf den Beinen. Denn heute geht es erstmals auf die Motorräder und es gilt das Motto: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“
Soll heißen: Wer als erster da ist, darf sich sein Motorrad aussuchen. Nur Peter, unser langjähriger Tour-Doc, und ich können es indisch-relaxt angehen. Buddhi, unser Guide-Chef, hat uns dazu auserkoren erstmals die neue Royal Enfield-Enduro „Himalayan“ auf der Tour testen zu dürfen. Ein Entgegenkommen für das wir noch sehr dankbar sein werden.
Udo, mein Zimmerkollege, hingegen ist nervös. Er hat jahrelang kein Motorrad mehr gefahren und ist wenig erfreut, dass er gleich zum Start die Regenbereifung benötigen wird. Das Fahren in der Gruppe, die Royal Enfields, der Linksverkehr, die Regellosigkeit des indischen Straßenwesens, die Kühe, Esel, Lastkarren, Fußgänger, Yaks(!) auf der Strasse, das endlose Gehupe, die Abwesenheit des Technischen Überwachungsvereins, die führerscheinlosen, betrunkenen Truckfahrer und nicht zuletzt die wahrscheinlich deutlich größere Erfahrung der anderen Teilnehmer sind schon Herausforderung genug. Da könnte der Landregen ruhig zu Hause in Norddeutschland bleiben.
Tut er aber nicht.
Als wir nach einem überraschend guten Frühstück um 8:30 Uhr die Motorräder starten, schüttet es wie aus Eimern. Schon die rutschige Auffahrt aus der Tiefgarage des Hotels ist eine kleine Herausforderung. Nach 300m haben wir dann den ersten Platten und nach 500m ist die Gruppe in drei Teilgruppen zersplittert.
Geht ja gut los!
Im letzten Jahr hatten wir am ersten Fahrtag sieben(!) Unfälle. Eine Erfahrung, die dazu geführt hat, dass ich die Teilnehmer EINDRINGLICHST gebeten habe, unseren Trip ruhig an zu gehen und sich zunächst mit dem indischen Verkehr und seinen Absurditäten (siehe Aufzählung oben) vertraut zu machen. 4min war dieser Hinweis alt, da war die Gruppe zerschossen. Willkommen in Indien.
Allerdings: Brav wurde von allen Beteiligten die Anweisung eingehalten, an der Stelle einfach zu warten, an dem man den Anschluss an den Vorfahrenden verloren hat. Nach kurzer Zeit waren wir wieder zusammen und setzten unsere Reise durch die schwarzwäldlerisch anmutenden Kieferwälder Richtung Narkand fort.
Die DANE TROPHY TRANSHIMLAYA beinhaltet den höchsten Pass der Welt. Wir bewegen uns im Himalaya auf schlammigen, in den Fels gehauenen Straßen. Bisweilen entlang tiefer Abgründe. Wir hatten in den vergangenen Jahren diverse Unfälle, mehrere Höhenerkrankungen und regelmäßige (kurze) Krankenhausaufenthalte. Das eigentlich gefährliche Teilstück unserer Tour ist aber in der Regel ein Tag im ganz normalen indischen Berufsverkehr.
Udo gerät seine (fahrerischen) Grenzen und wechselt zur Mittagszeit nach ein paar schweißtreibenden Kurven-Stunts in den begleitenden Jeep. Betrachtet man den Fahrstil des Fahrers kommt er zwar vom Regen in die Traufe, aber im Falle eines Unfalls wäre er wenigstens nicht selber schuld.
Eine verantwortliche Entscheidung, für die Udo in der Gruppe viel berechtigte Anerkennung erhält.
Der Rest der Truppe schwimmt nach ein paar Anfangsschwierigkeiten souverän durch den Himalayaverkehr. Von Narkand schwingt die Straße sanft ins Tal, um sich von dort in eine breite, asphaltierte, schlaglöcherfreie Straße zu verwandeln. Ein seltenes Glück auf unserem Trip.
Der Regen hat nachgelassen, die Laune sich noch weiter verbessert. Schon jetzt wird klar, dass die Truppe ein hohes und homogenes fahrerisches Können hat. Sieben Unfällen werden wir auf der gesamten Tour nicht zustande bekommen. So das die größte Herausforderung für die beiden begleitenden Mediziner ein eingewachsener Zehennagel sein wird. Und auch der wurde schon aus Deutschland importiert.
In Jeori zweigen wir ab nach Saharan und erklimmen den Ort, der auf einem Bergrücken in 2165 m Höhe liegt zu Füßen des 5200 m hohen Srikhand Mahadev.
Unser Hotel bereitet uns die üblichen indischen Überraschungen. Auf der „Dachterrasse mit fantastischer Talsicht“ legt der Rest-Zement für die noch notwendigen Ausbauten. Immerhin hängt aber die Wäsche des Besitzers. Die für uns vorgesehenen Zimmer im Erdgeschoss liegen unter dem zugesagten 0-Sterne Standard und zudem wird das gesamte Dorf beschallt von einer lokalen Hindu-Hochzeit. Das Schlimmste allerdings: Der King-Fisher-die-Deutschen-kommen-Bier-Vorrat beschränkt sich auf 5 Flaschen. DAS ist wirklich mal ein Grund für Protest bei der Reiseleitung.
Wie immer in Indien sind solche nebensächlichen Problemchen schnell wegimprovisiert: Die Dachterrasse hat auch mit Wäscheleinen eine fantastische Aussicht, für die Erdgeschoss Zimmer finden wir eine Alternative, der Bier-Kühlschrank wird komplett gefüllt und wieder geleert und die indische Hochzeitsmusikbeschallung ist die genau richtige atmosphärische Untermalung unseres frisch gewonnen indischen „ist-doch-auch-alles-nicht-so-wichtig-Gefühls“.
Nach ein paar Bier gefällt uns die Musik so gut, dass wir beschließen, uns später noch auf den Weg zur Hochzeit zu machen.
Zunächst besuchen wir aber den Bhimakali-Tempel. Der der Gottheit Bhima Kali geweihte Tempfel stammt aus dem 8. Jahrhundert. Errichtet wurde er in der für den Himalaya typischen Holzbauweise. Verehrt werden auch Shiva, seine Gemahlin Parvati, und selbst eine Buddhastatue findet man im Heiligtum. Seit Urzeiten ist der Tempelhof Schauplatz des farbenprächtigen, aber blutrünstigen „Astomi-Opfers“ im Rahmen der Dusshera-Feierlichkeiten im Oktober. Bis zur Ankunft der Engländer wurden hier Menschenopfer dargebracht, heute müssen Hühner und Ziegen Ihr Leben lassen, um die blutrünstige Göttin Kali zu besänftigen. Im Tempel herrscht strenges Fotoverbot. Männer müssen eine Kappe tragen, Lederartikel sind verboten.
Buddhi führt uns durch den Tempel und danach durch den Ort und vermittelt uns so vertiefte Eindrücke und Wissen über die Religionen, die Kultur und das Alltagsleben der Himalayaregion. Er redet mit den Einheimischen, übersetzt uns ihre Aussagen und die Antworten auf unsere Fragen und lässt uns ein paar bereitwillig gereichte lokale Köstlichkeiten probieren. Für einen Abend fühlen wir uns als Bewohner, nicht nur als Besucher.
Nach unser Rückkehr honorieren wir das Bemühen und den Service der Hoteldirektion und fahren den dramatisch aufgestockten Bier-Vorrat wieder auf seinen Ausgangswert zurück. Man vertritt ja schließlich sein Heimatland und möchte keinen schlechten Eindruck hinterlassen.
Wir sitzen mit Eindruch der Dämmerung noch auf der offenen Dachterasse. Es sind 25 Grad, wir schauen an den Wäscheleinen vorbei ins wunderschöne nächtliche Tal, lauschen der Hochzeitsmusik und geraten so langsam in einen „indischen Swing-Modus“, der unsere gesamte Tour begleiten wird:
Entspanntes Leben und Fahren in traumhafter Kulisse.
Das Leben (außerhalb Dehlis) verströmt unter der Oberfläche eine große innere Ruhe, die in großem Kontrast steht zur milliardenfachen Agilität des absurden indischen Lebenstheaters.
Wer dieses Land noch nie bereist hat, wird es nicht glauben können: Hinter wirklich JEDER Kurve und in JEDEM Ort wartet etwas NEUES, UNERWARTETES, ÜBERRASCHENDES.
Für cirka 160km benötigten wir heute 6 Stunden und KEINE SEKUNDE ist langweilig.
Wir fahren durch das indische Menschen-und-Natur Schauspiel und erleben zu jeder Zeit eine knallbonbonhafte Vielfalt, die einem unter dem Helm den Atem raubt.
Zugleich aber sorgt die ausstrahlende Ruhe der Menschen auch bei uns eine fast buddhistische Entspanntheit, die im duchgetakten Alltag Deutschlands nur schwer zu erreichen ist.
Gott hat einen großen Zoo. Und der indische ist der artenreichste.
Soviel wird schon am ersten Tag unseres Abenteuers deutlich.
Fortsetzung folgt…