Zum Inhalt springen

Tag 14: Mr. Flowers oder wie das Leben sein sollte.

Der 14. Tag wird einer der intensivsten Tage meines Lebens.

Wir haben den fantastischen, fantastischen FOTU LA Pass in das Kaschmirtal überwunden und nähern uns jetzt der 1,2 Mio Einwohnerstadt Srinagar.

Mr. Moti hat Kolonnenfahrt angeordnet, denn der Verwaltungssitz der Region Kashmir ist unübersichtlich und quirlig. Zudem ist die Stadt auch, aufgrund seiner Nähe zur pakistanischen Grenze, jahrelang Zentrum des pakistansich-indischen Kashmirkonflikts gewesen. Die Terrorismusgefahr ist latent und ihre noch immer anhaltende Bedrohung wird uns am Tag unserer Abreise am Flughafen deutlich, als die Sicherheitsvorkehrungen sich solange hinzogen, dass wir trotz eines 3 Stunden-Puffers beinahe unseren Flug nach Dehli verpasst hätten.

Erst einmal aber beenden und krönen wir unseren Abenteuertrip auf eine Art und Weise wie sie besser nicht sein kann.

Der einzige kleine Makel: Aufgrund eines kleinen Mißverständnisses verpassen wir die Gelegenheit uns in gebührenden Maße von unseren, uns ans Herz gewachsenen Begleitern, den 22 ROAYAL ENFIELD BULLETS zu veraschieden. Sie haben uns durch unwegbarstes Gelände und auf höchste Höhen getragen und wir lassen sie schnöde auf einem staubigen, an einer Einfallstaße nach Srinargar liegenden Parkplatz zurück. Nicht etwas, weil wir ihre treuen Dienste nicht zu schätzen wüßten, sondern weil wir nicht ahnten, dass die Meter auf dem Parkplatz aufgrund der örtlichen Gegebenheiten unsere letzten gewesen sind. Es tut uns leid!

Nachdem wir uns gegenseitig beglückwünscht hatten, dass wir zumindest den Streckenteil der DANE TROPHY TRANSHIMALYA mehr oder minder gesund überstanden haben, führt uns Mr. Moti zu einem kleinem Anlegeplatz mit mehreren Dutzend kleinen Transportbooten. Srinagar befindet sich auf einer Höhe von 1.730 m über dem Meeresspiegel zentral im Hochbecken von Kaschmir am Fluss JHELAM. Dieser Fluss verbreitet sich nahe Srinagar zum DAL-SEE, der für seine zahlreichen Hausboote bekannt ist. Unsere Hausboote liegen auf der gegenüberliegende Seite des Sees, so daß wir ab jetzt nur noch erschwert Zugriff auf unsere Mopeds hätten.

Wir verlassen also unsere zuverlässigen Enfields auf ihrem staubig trostlosen Parkplatz und erleben innerwahl der folgenden wenigen Minuten einen Kontrast, wie ich ihn wohl selten erlebt habe und wohl auch selten wieder erleben werde.

Gerade eben noch waren wir auf den Höhen des Himalayas Anstrengungen und Herausforderungen ausgesetzt, die fast jeden von uns an seine körperlichen Grenzen gebracht hat. Wir waren 14 Tage auf unwegsamen Gelände und staubigen Strassen unterwegs und haben in den letzten Stunden bei der Anäherung an Srinagar noch die Hektik, Lautstärke und Quirrligkeit des indischen Großstadtverkehrs ertragen. Und jetzt, jetzt steigen wir in ein paar traditionell bunte, kleine Transportboote, plazieren uns selbst auf einer einladenden Liegefläche und werden mit wenigen Paddelschlägen in ein Meer von Ruhe verfrachtet.

Wenige Meter vom Ufer antfernt, fällt die gesamte Anspannung und die Anstrengung der letzten beiden Wochen gänzlich von uns ab. Der Dal-See strahlt eine unglaubliche, nahezu majestätische Ruhe aus. Jeder Paddelschlag bringt uns weg von den Entbehrungen der vergangenen 2 Wochen. Und neben der äußeren Ruhe breitet sich in uns mit diesen Paddelschlägen auch eine große innere Ruhe aus. Wir haben den intensivsten Trip unseres Lebens gut überstanden und wir werden die kommenden Stunden an diesem fantasstichen Flecken Erde nutzen, um zusammen und jeder für sich das gemeinsam Erlebte zu verarbeiten und ein zu ordnen. Und dafür gibt es keinen besseren Ort als ein Hausboot am DAL-See.

Unsere Unterkünfte in den vergangenen Tagen waren zweckmäßig und spartainsch. Die Flußhausboote sind opulent, großzügig und komfortabel.

Es ist schwer zu beschreiben, wie groß der Kontrast zu den entbehrungsreichen Tagen im Himalaya ist. Aber eben dieser Kontrast wird uns die abschließenden Hausboot Tage nie vergessen lassen. Alle unsere 4 Boote sind mit einer Art „Terrasse“ versehen, die wiederum mit dem Nachbarschff verbunden ist. Wie haben unendlichen Raum, ein reichhaltiges Frühstück und auf jedem Boot einen „Verwalter“, der uns jeden Wunsch erfüllen kann und von der Wasserseite her immer wieder freundliche „Gäste“, die aus der Versorgung der Boote eine Geschäftsidee entwickelt haben. Ein Fingerzeig genügt und alle erdenklichen Waren und Mittel werden uns ans Boot gebracht,

Die Natur beschenkt uns mit unglaublichen Farb- und Lichtspielen und der See und die Menschen die sich auf ihm bewegen strahlen eine unglaubliche Ruhe und Würde aus.

Wir zeigen uns dankbar und erfreuen die Hausbootverwalter mit einer Bier-Abschlussrechnung von € 550,-, was durchaus einen neuen See-Rekord darstellen könnte, zumal man bedenken muss, dass Srinagar muslimisch ist und Bier daher nur unter der Bootstheke verkauft werden darf. Der Abend endet mit einer gemeinschaftlichen Party auf einem extra gecharterten Partyboot. Der indische Drang zur Skurrilität wird dieses mal von der Band übernommen, die ihre gar nicht so schlechte Musik nur in infernalischer Lautstärke präsentieren mag. Wir können darüber hinweg sehen, da uns der Bierkonsum noch entspannter gemacht hat und wir uns ohnehin mit all unseren neu gewonnen Freunden an das Heck des Partyboats zurück gezogen haben. Dort lassen wir die gesamte Reise noch mal Revue passieren, während sich die indische Version des hyperaktiven männlichen Boney M. Tänzers nicht davon abhalten läßt, über Stunden alles zu geben.

Wir bedanken uns mit Applaus und großzügigen Trinkgeld.

Am nächsten Morgen machen wir dann noch MR. FLOWERS als letzten indischen Abschiedsgruss glücklich und reich.

Mr. Flowers Geschäftsidee ist der Verkauf von Blumensamen. Er hat mich entdeckt, als ich am frühen Morgen mit einem Blick auf den ruhig darliegenden See die Nachwirkungen der Nacht mildern möchte. Da die Floristik nicht zu meinen intensivsten Hobbys gehört, mache ich Mr. Flowers darauf aufmerksam (wie jeder Verkäufer hat er durch Nennung von ein paar deutschen Städten meine Sympathie erschlichen und dabei leise und konsequent und freundlich mit einer exotischen Blume in der Hand das Heck gekapert), dass wir eine Truppe von 22 ganz toughen Motoradtypen wären und er KEINE CHANCE hätte mir oder sonst irgendwem der noch schlafenden Moped-Machos BLUMENSAMEN zu verkaufen.

Mr. Flowers läßt sich von meinem energischen Auftritt nicht beeindrucken, sondern entert gegen 10:00 Uhr nochmals unsere Boote. Durchgehend freundlich lächelnd verläßt er sie wieder gegen 10:10 Uhr mit einem Auftragsvolumen von € 95,- in der Tasche. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass laut Mr. Moti der durchschnittliche Monatslohn bei € 50,- liegt und der Warenwert des Blumensamens nach seiner Schätzung von cirka € 2,50 hat.

Etwas unglücklich ist zudem, dass Klaus, unser deutscher Einkäufer, sich nicht hat erklären lassen, um welche Art Blumen es sich handelt. Dies ist aber eigentlich auch egal, denn er darf sie ohnhein nicht ausführen.

Mr. Flowers jedenfalls ist glücklich.

Und wir sind es auch.

Denn die Story ist eine weitere kleine Anekdote in unserem schon übervollen Anekdotenschatz dieser fantastischen Reise.

Wir chillen noch einen weiteren Tag.

Dann verlassen wir die Himalayaregion etwas stolzer, demütiger, aufgeschlossener, dankbarer, neugieriger mit vielen neuen Freunden.

Was kann eine einzige Reise mehr bieten?!

Wir kommen wieder!

Garantiert.